• Journalismus und Einblicke zweier Kulturen...

    Wenn die bikulturelle Erziehung Geschichte macht

    Die Geschichte der Deutschen Schule in Santa Cruz de la Sierra erzählt von einem dieser bemerkenswerten und ungewöhnlichen Begebenheiten des bolivianischen Bildungssystems und der Zentralstelle für das Auslandsschulwesen, der heute 140 Bildungseinrichtungen weltweit angehören. Die Deutsche Schule in Santa Cruz de la Sierra wurde 1936 auf Initiative einer kleinen deutschsprachigen Gemeinde in einer Stadt mit 25 Tausend Einwohnern ins Leben gerufen, gelegen vor den Toren des Amazonas, in einem Land, das gerade einen Krieg hinter sich hatte; ein abgeschiedener Ort für Deutschland, für das in eben diesen Jahren eine der unheilvollsten Epochen seiner Geschichte ihren Anfang nahm. Das Projekt überlebte nicht nur, sondern blühte 80 Jahre lang regelrecht auf: Es brachte 2.575 Abiturienten hervor und erntet weiterhin Bewunderung für seine akademische Qualität und seine Lehrmetoden, ausgerichtet auf Bikulturalität sowie natürlich für seine besondere Geschichte.

    Die ersten Jahre waren sehr prekär: drei angemietete Klassenräume in einem bescheidenen Gebäude, eine Kindergärtnerin (Erika Bollert) und ein Direktor (Alfred Lindhorst) zusammen mit seiner Frau (Lotte Lindhorst). 1937, ein Jahr später, waren im Kindergarten 115 Kinder eingeschrieben und es gab 32 Lehrer. Von 2 Stunden Unterricht am Nachmittag ging man zu einem Schuljahr mit 210 Schultagen über. Im Jahr 2016, das Jahr ihres 80-jährigen Bestehens, zählt die Schule 1.477 Schüler und 172 Lehrer. In 80 Jahren ist Santa Cruz von einer Stadt mit 25 Tausend Einwohnern zu einer mit 2.655.084 Bürgern avanciert; von einer ländlichen Enklave, vergessen vom eignen Land, ist sie in wirtschaftlicher Hinsicht zur wichtigsten Stadt Boliviens geworden.

    Einer der entscheidendsten Momente in ihrer institutionellen Geschichte fällt in das Jahr 1966, als die deutsche Regierung der Schule wirtschaftliche Hilfe bot, gestützt von einem Abkommen über die zwischenstaatliche Zusammenarbeit zwischen Bolivien und Deutschland. Es gab jedoch auch kritische Momente: Zwischen 1945 und 1955 sah sich die Deutsche Schule in Santa Cruz de la Sierra gezwungen, „ihre Türen zu schließen“ und nannte sich von da an Colegio Pestalozzi (der dunkle Schatten der Nazizeit und ihre Protagonisten waren bis zu den Toren des Amazonas vorgedrungen); die Auswirkungen des Zweiten Weltkriegs erreichten sogar so weit entfernt gelegene Landstriche und so weit abgewandte Bereiche wie den der Erziehung.

    Zu den glücklichen Momenten zählten folgende: 1982 startete das Schüleraustauschprogramm, das den Schülern bis heute erlaubt, vier Monate in Deutschland zu verbringen, wo sie die Sprache perfektionieren, Bikulturalität leben und ihre menschliche Bildung erweitern können. 1987 erhielt die Deutsche Schule in Santa Cruz den “Cóndor de los Andes”, die höchste von der bolivianischen Regierung vergebene Auszeichnung an nationale und ausländische Institutionen für deren Verdienste am Land. Im Jahr 2007 folgte die Einführung des internationalen Abiturs (im Gegensatz zur Deutschen Schule La Paz, die berechtigt ist, das deutsche Abitur abzunehmen, ist es in Santa Cruz das internationale Abitur). 2014 der Erhalt des Gütesiegels „Exzellente Deutsche Auslandsschule“ und ab 2015 ist sie befugt, das Fachabitur abzunehmen.

    © DSCHeute verfügt die Deutsche Schule in Santa Cruz de la Sierra über moderne Räumlichkeiten – sie wurden zwischen 1999 und 2004 erbaut – die für die Woche der 80-Jahr-Feier herausgeputzt wurden. In der Vorhalle waren diesmal Ausstellungstafeln mit Fotografien zu sehen, die ihre Geschichte in Jahrzehnte einteilen und von Schwarz-Weiß-Fotos in den ersten vier Dekaden zu Farbfotos der zweiten Hälfte ihres Bestehens übergehen. Die Pionierin der Lehrer umgeben von ihren jungen Schülern – es ist einfach sich vorzustellen, dass einige von ihnen in jener Zeit mit dem Pferd zur Schule kamen -, der erste Direktor, die Spiele der Kinder im Hof eines ländlichen Santa Cruz, ihre ersten Abiturienten, die neuen Räumlichkeiten und die Entwicklung ihres Baus sowie die führenden Persönlichkeiten der deutschen Gemeinde in Santa Cruz, die etwas mehr als nur ihren guten Willen zeigten, um das Projekt im Laufe seiner acht Jahrzehnte voran zu treiben. Interessante Bilder, die Teil des nagelneuen Fotoarchivs der Deutschen Schule in Santa Cruz sind, das über mehr als 1.700 Fotos verfügt, eine Sammlung, mit der Federico Koebel, einer ihrer berühmtesten ehemaligen Schüler, beauftragt wurde.

    Als der deutsche Botschafter in Bolivien, Mathias Sonn, an der Reihe war, vor den zur 80-Jahr-Feier geladenen Gäste aus der regionalen Politik und Bildung zu sprechen, erklärte er auch die Philosophie der Unterstützung der Deutschen Auslandsschulen seitens seiner Regierung: „Wir wollen nicht, dass die Deutsche Schule in Santa Cruz eine Insel ist, sondern ein Ort der Integration der verschiedenen Sektoren der bolivianischen Gesellschaft (…) und wir hoffen, dass die deutschen Steuer-Investitionen dazu dienen, unsere (deutschen) Werte zu fördern.“

    In Bolivien erzählen die Bildungseinrichtungen ihre Geschichte nicht in Bildern, denn klar, ihre Aufgabe ist es, sich auf die Gegenwart und die Zukunft zu konzentrieren (schlussendlich ist das ihre Mission als Lehreinrichtung). Allerdings erlauben uns die Abstecher in die Vergangenheit, die Dimensionen des Projekte in der Zeit einzuschätzen und Fragen zu stellen zur Motivation – vor dem Hintergrund aller Widrigkeiten – sowohl derjenigen, die sie vorantrieben als auch derjenigen, die ein Teil dieser Projekte waren sowie über die Kontraste zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart zu stauen.

    Die Deutsche Schule in Santa Cruz de la Sierra feiert weiter und in ihren Gängen finden sich Sätze wie diese: “Wenn du von etwas träumst, kannst du es auch realisieren…” oder “Docendo et dicendo crescimus”. Die Wände und ihr Lebensgeist sind der Beweis dafür.

    Teresa Torres-Heuchel
    Übersetzung: Antje Linnenberg

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