• Journalismus und Einblicke zweier Kulturen...

    Das Abendbrot

    Das möglicherweise beeinflusst wurde durch den Spruch: „Iss morgens wie ein Kaiser, mittags wie ein Fürst und abends wie ein Bettelmann“ 

     

    Warum essen die Deutschen als letzte Mahlzeit des Tages immer ein Brot? erkundigte sich eine Forumsbesucherin auf der deutschen Lieblingsinternetseite www.gutefrage.net. So richtig verstand die Frage dort, glaube ich, keiner. Stellst Du immer so seltsame Fragen?, war noch die netteste Antwort.

    Seltsam jedoch ist diese Frage keineswegs – zumindest nicht für den gesamten Kontinent Südamerika plus Spanien. Dort sortiert man bekanntermaßen Völker, die freiwillig auf eine warme Abendmahlzeit verzichten, ein zwischen die Höhlenmaler der Jungsteinzeit und die Erfinder der Streitaxt. Nun, dies ist möglicherweise etwas übertrieben. Sicher ist jedoch, dass das „Abendbrot nach Latino-Art“ aus verschiedenen Komponenten besteht: Reste vom Mittagsessen, eine Suppe oder etwas anderem, das extra zubereitet wurde. Was diese Speisen jedoch gemeinsam haben, ist: Sie sind warm. Das deutsche Abendbrot hingegen ist kalt.

    Möglicherweise rühren von dieser deutschen Tischgewohnheit all die – nicht wirklich positiven – Briefe und Berichte von Austausch-Schülern und Studenten, die zu ihren Freunden und Familien auf den Cono Sur zurückkehren. Die meisten sind zwar bereits darauf vorbereitet, dank Wurst, Nutella und Sahnejoghurt mit etlichen Kilo mehr aus Deutschland nach Hause zu kommen, doch sind sie dann doch fassungslos, wenn sie das ganze Ausmaß der Barbarei erleben.

    Die unregelmäßigen Essenszeiten und der grimmige Hunger zwischendurch sind noch die harmloseren Übel. Als nachhaltig schockierend wird das allabendliche Trauma beschrieben, an Stelle dampfender Schüsseln eine kalte Brotscheibe angereicht zu bekommen. Tatsächlich scheint es so, als ob diese Erinnerung ein Souvenir ist, das viele mitbringen aus dem Land es kalten Nachtessens. Natürlich gehen viel Reisenden davon aus, dass genau dies ihr Reisezweck ist: Andere Kulturen kennen zu lernen. Ein Schock am Tisch ist es trozdem.

     Aber was sollen wir denn sonst abends essen? Abendkuchen etwa? Nach dieser Vorrede, die von innen und außen versucht, das Wesen unseres Gegenstandes zu erkennen, ist es Zeit, endlich zur Sache zu kommen: Zum „deutschen Abendbrot“.

    © F. SörgelEs gibt in Deutschland unglaublich viele und tolle Sorten Brot mit Nüssen, Kartoffeln und verschiedenen Getreidearten. Es ist auf der ganzen Welt berühmt und unglaublich lecker. Umso erstaunlicher ist es, dass die meisten Deutschen mit drei recht farblosen Wörtern dafür auskommen: Weißbrot, Graubrot, Schwarzbrot.

    Wie auch immer, Brot ist das zentrale Nahrungsmittel beim „deutschen Abendbrot“. Gegen 18:00 Uhr, zwischen der letzten Stunde des Nachmittags und der ersten des Abends, nimmt es am Tisch Platz – in einem kleinen Körbchen. Das Brot erscheint ist in dünnen Scheiben, begleitet von einem Teller mit Wurst und Käse, einem anderen mit Vitaminen in Form von Gurken, Tomaten oder Rübchen. Auch eine Pastete darf dabei sein, aus Geflügel oder Gemüse.

    Diese Bestandteile kombiniert jeder nach eigenem Gusto und Tempo zusammen und isst so viel davon, dass er bis zum nächsten Morgen satt ist. Erwachsene trinken gerne ein Bier dazu (in Deutschland gibt es Biersorten mit einem geringen Alkoholanteil, die gerne zum Abendbrot getrunken werden), Kinder bekommen Tee. Das ist, sagen wir mal, das Basis-Kit.

    In vornehmen Familien nimmt man die Wurst mit einer kleinen Serviergabel von der Platte und schneidet das belegte Brot mit Messer und Gabel klein. Woanders nimmt man sich die Wurst und isst die Stulle mit der Hand – ja, noch nicht einmal ein Porzellanteller ist bei dieser Kulturübung Pflicht! Wundert Euch nicht, wenn ihr ein unlackiertes Holzbrett vorgelegt bekommt. Ich habe sogar schon Familien erlebt, die fünf Weltsprachen gesprochen und direkt von der Tischplatte gegessen haben.

    Habe ich gerade Stulle gesagt? Das muss ich erklären. Denn je nach Wurst/Brot-Quotient heißt das Abendbrotergebnis anders. Heißt es Stulle, dann kommt es aus Berlin und ist so reich bepackt, dass ein erwachsener Mann, der den ganzen Tag Holz gehackt hat, davon satt wird. Er hat sich dann vielleicht ein paniertes Schnitzel, eine Scheibe Tomate, ein hartgekochtes Ei auf seine 4cm dicke Scheibe gelegt oder ein paar Frikadellen mit Senf und sauren Gurken. Wenn er Klappstulle sagt, kommt er aus Norddeutschland und hat die Oberseite noch mit einem Brot-Dach abgedeckt, denn dort weht oft ein lausiger Wind. Sagt Euer Gastgeber Bemme, seid Ihr in Wuppertal. Ein Sandwich übrigens findet Ihr selten auf einem Abendbrottisch – das ist eine eigene Mahlzeit. Morgens, in der Schultasche, da taucht es öfter auf. Oder in Cafés zum Tee.

    Der Golf unter den belegten Broten ist das Butterbrot, das aber alles möglich enthalten kann, auch Bütterchen genannt, und die Schnitte. Das Schnittchen dagegen ist eine liebevoll dekorierte Diätportion, vielleicht auch auf Knäckebrot, zum Beispiel mit Kräuterquark und einer Radieschenscheibe, Kresse oder Sprossen. Noch feiner verziert und noch kleiner sind die Kanapees, runde Scheiben aus dunklem, körnigem, süßen Bot mit dem unglaublichen Namen Pumpernickel.

    Liebhaber Italiens fahren gewürztes Weißbrot auf, das nach Olivenöl schmeckt und Ciabatta oder Focaccia heißt. Tomaten, Schafskäse, Oliven oder mit dem Sparschäler gehobelter Parmesan und luftgetrockneter Schinken passen da gut drauf.

    Wie kommt diese Kulturnation, die in Europa umgeben ist von Feinschmeckerländern, dazu, sich als Belohnung des Tages mit einem Brot zufrieden zu geben?

    Erstens: Es war wohl nicht immer so. Irgendwann zwischen Rousseaus Ruf zurück zur Natur und der schlechten Zeit nach dem zweiten Weltkrieg, als eine Familie pro Woche von 100 g Wurst leben musste, verschwand das mehrgängige Abendmenü und seitdem genügt eine warme Mahlzeit pro Tag. Es kann auch der historische Gesundheitsfimmel gewesen sein mit der Ansage „iss morgens wie ein Kaiser, mittags wie ein Fürst und abends wie ein Bettelmann“ oder schlicht und ergreifend das Verschwinden des Hauspersonals aus der Küche – zweimal warm zu essen gilt jedenfalls als Völlerei oder Dickwerdenwollen mit Gewalt. Und wir reden hier noch nicht einmal von der Low-carb-Bewegung, die sogar noch auf das Brot verzichtet und stattdessen Salat oder etwas Rohkost knabbert. Noch härter waren die Erziehungsmethoden aus der Militärzeit meines Schwiegervaters: „Abendessen wird durch stramme Haltung ersetzt!“ hieß es da, wenn man nicht brav war. Das war noch vor low-carb. Natürlich gibt es auch Haushalte, in denen abends warm gegessen wird und mittags noch mal außerhalb. Tradition und Pflicht ist schließlich nicht dasselbe.

    Zweitens: Wer redet von zufrieden geben? Sowohl das Brot selbst als auch das, was drauf kommt kann richtiger Luxus sein. Auch Salzbrot, Schmalzbrot, Zuckerbrot. Das Geheimnis steckt wie immer in der Güte der Komponenten. Und es kann exotisch sein. Was immer man Deutschen an Monotonie und Akkuratesse unterstellt, beim zehntausendsten Salamibrot reiben sogar wir uns das Kinn und grübeln über Varianten nach. Heraus kommen volltönende Kreationen wie Hüttenkäse mit marinierten Papayascheiben, geräuchterter Tofu, Dinkelfrikadellen mit Paltaspalten, Linsen-Kokoscreme und Radicchiosalat, Sardellen, Rollmöpse und Bratwurst in Aspik. In der kalten Jahreszeit wird auch schon mal ein Omelett serviert oder eine Suppe. Na? Appetit bekommen?

    Gerade tun wir so, als würde sich bei der deutschen Abendmahlzeit alles ums Brot drehen. Dabei ist das gar nicht die Hauptsache. Den Tag zu besprechen und locker zusammen zu sein, es nett zu haben darin besteht der eigentliche Wert dieser etwas formlos klingenden Zusammenkunft. Da keinen der Job trifft, kochen zu müssen und nichts kalt werden kann, ist man zeitlich frei und düpiert auch keine Köchin, wenn man nach einem halben Serrano-Knäcke satt ist. Bei dem Gast kann so ein Abendbrot aber sehr verschieden ankommen. Sitze ich beispielsweise bei Freunden, die ich gut kenne, genieße ich gerne das Umstandslose einer Brotzeit. Auch wenn alles vom gleichen Markt kommt, so schmeckt es woanders immer besser als zu Hause.

    Doch erinnere ich mich auch an quälende Stunden meiner Jugendzeit als Gast bei fremden Leuten. Da hätte ich oft viel darum gegeben, einfach einen fertig konfektionierten Teller vor mir zum Bearbeiten zu haben. Obwohl mein Großvater viele Zeitstunden auf meine Tischmanieren verwandt hat und ich theoretisch wusste, wie man um die Butterschale oder das Salzfass vom anderen Tischende bittet, war ich oft zu schüchtern, um ein lebhaftes Gespräch zu unterbrechen und fühlte mich recht hilflos.

    Auch der Stil einer Abendbroteinladung wird immer eine Überraschung sein. Mal stehen Kerzen auf der gebügelten Tischdecke und die Rohkostplatte ist mit der Pinzette drapiert worden, wer anderes wirft eine Handvoll Wurstpackungen auf die Tischplatte. Meistens ist alles bereits vorportioniert und aufgeschnitten, es gibt aber Regionen oder Familien, in denen Würste, Käseblöcke und Brotlaibe im Ganzen auf den Tisch gebracht werden und jeder sich sein Teil absäbelt und getrennt isst. Je näher an Italien, desto verbreiteter ist diese Art der „Trennkost“.

    Als Gast ist ein Abendbrot nie langweilig. Zu Hause vielleicht schon. Wir spielen dann oft „Abendbrot ärgere dich nicht“: Dazu versehen wir alle Serviertellerchen mit Nummern und teilen Würfel aus. Nur das, was man würfelt, darf man auch essen und muss unter Umständen sehr lange warten, bis man die Zahl für die gewünschte Schinkenscheibe gewürfelt hat.

    Was andere Familien sich ausdenken und welche Gerätschaften sie dabei benutzen, darüber kann man sich übrigens sehr leicht informieren, in dem man sich mit den Schriften der Abendbrotforschung beschäftigt. Die es natürlich gibt in Deutschland. Ebenso wie ein Abendbrotmuseum. Und natürlich stets einen Lieferservice in Rufnähe.

    Guten Appetit!

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