• Journalismus und Einblicke zweier Kulturen...

    Textilreise durch Bolivien

    Unter den Mitgliedern der Gemeinschaft der Layme im Norden Potosís wird das Prestige einer Frau an ihrer Webfähigkeit gemessen. Wenn die Männer eine Ehefrau suchen, wählen sie diejenige, die viele, gut gearbeitete Textilien trägt. Hinter den Mauern des kleinen Textilmuseums “Museo de Textiles Andinos Bolivianos” (MUTAB) im Stadtviertel Miraflores von La Paz finden sich diese ländlichen Realitäten zusätzlich zu den ausgestellten Kleidungsstücken, Textilien, überladen mit Symbolik in Farbe und Repräsentation; die wechselnde Ikonographie der bolivianischen Andenwelt.

    Auf der Suche nach Bedeutungen und Kommunikationselementen, die mit den traditionellen andinen Textilien verbunden sind, trug Waldo Jordán, von Beruf Anthropologe, in den 70er Jahren im Rahmen seiner Besuche der bedeutendsten bolivianischen Regionen, in denen Textilien in Handarbeit hergestellt wurden, eine ansehnliche Zahl von Textilien zusammen. In den 80er Jahren organisierte der Sammler vier Ausstellungen im Haus der Kultur und erhielt von der Stadtgemeinde La Paz eine Auszeichnung für seinen Beitrag zur Wahrung des kulturellen Erbes des Landes. Die große Wertschätzung der Sammlung war der Anlass für die Gründung des aktuellen Textilmuseums, ein Familienunternehmen, das seit 1999 funktioniert. Das Museum findet sich in verschiedenen Reiseführen über La Paz sowie im Tripadvisor.

    Andine Frauenkleidung im Wandel

    Miraflores ist ein von der Touristenmeile und den Museen abgelegener Stadtteil. Aus der Südzone von La Paz ist er dank der Verlängerung der Avenida Zavaleta leicht zu erreichen. Das Museum befindet sich an einer Ecke des Platzes Benito Juárez.

    Bild: Museos de los Textiles La PazGeht man durch die Räumlichkeiten wird schnell klar, dass das Museum den Frauen gewidmet ist: Ein Großteil der Sammlung besteht aus Kleidungsstücken für Frauen –die von den Einwohnern der ländlichen Regionen mit Textiltradition getragen werden–, um deren Entwicklung in diesen Regionen der Departamentos La Paz, Oruro, Potosí und Teilen von Chuquisaca und Cochabamba aufzuzeigen. Laut dem Förderer des Museums, Waldo Jordán, ist die Kleidung der Frauen möglicherweise eines der Kleidungselemente, die die kulturellen Veränderungen in Bolivien im Laufe der Jahrhunderte am stärksten absorbiert hat.

    „Vor der Kolonialzeit trugen die Frauen aqsus –auf den ersten Blick scheint dies ein rechteckiger klassischer awayo zu sein, angezogen sieht es jedoch wie eine Tunika aus–. Vor den Röcken, die die Spanier mitbrachten, trugen die einheimischen Frauen „aqsus“. In der Kolonialzeit weigerten sie sich, die spanischen Modelle zu tragen und trugen diese als Unterwäsche und darüber weiterhin die aqsus“, erklärt Jordán. Dieser Widerstand verlor sich in den ersten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts, als die von den Städten weit entfernt lebenden einheimischen Frauen die spanischen Röcke letztendlich annahmen und sich von den traditionellen Naturstoffen, sowohl im Hinblick auf die Farben als auch die Fäden, distanzierten.

    Laut des Anthropologen wurden die Kleidungsstücke vor der Kolonialzeit aus Lama- oder Alpakawolle gewebt. Seine Nachforschungen haben ergeben, dass es zu dem stärksten Bruch mit den alten Methoden der Textilproduktion in den Gegenden der Spinner und Weber in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts kam. Genau in den Jahren des Chaco-Krieges zwischen Bolivien und Paraguay kamen die chemischen Färbemittel auf, die die Pflanzen und Naturprodukte ersetzten. Auf diese Weise wurde Schafwolle zum bevorzugten Material für die Herstellung von Kleidungsstücken in den ländlichen Regionen, die ihre Traditionen hinsichtlich der Kleidung beibehielten. Die aus Lama und Alpakawolle gewebten und gefärbten Kleidungsstücke wurden immer seltener und sind heute sozusagen „museumsreif“.

    Die Sammlung des MUTAB besteht aus unzähligen gewebten Stücken, in der Form von llixllas und aqsus, die von Frauen getragen werden, und unkus, capachos und aqollas, die von Männern genutzt werden. Die genannten Textilien sind auf engem Raum auf zwei Ebenen ausgestellt. „Die Räumlichkeiten sind eigentlich zu klein geworden. Wir haben Kleidungsstücke, die wir aufbewahren und eigentlich zeigen möchten, aber wir haben nicht die Mittel, um das Museum vergrößern zu können“, beklagt Jordán.

    Trotz allem befindet sich in den Räumlichkeiten ein k’atu –dort kann man ordentliche awayos kaufen, sowohl hinsichtlich der Konfektionsqualität als auch des Preises– und ein winzig kleines Eckchen, wo der Besucher lernen kann, Schafwolle von Alpakawolle durch Fühlen zu unterscheiden, sowie etwas über die Geschichte einiger der Frauen, die die Kleidungsstücke hergestellt haben, erfahren kann. Die Charakteristika seiner Besucher bedenkend, sind die erklärenden Texte des Museums auf Spanisch und Englisch, um so ein besseres Verständnis der Ausstellungsstücke zu bewirken.

    Andine Sprache der Farben: nicht alles ist schwarz 

    Zum Nachdenken anregen ist zweifelsohne eine der größten Herauforderung eines jeden Museums. Im Falle des MUTAB wird man gezwungen, über die Symbolik der Farben und ihre Repräsentation in der Andenwelt nachzudenken. Die westliche Mentalität teilt Farben Werte zu und assoziiert sie sogar mit Gemütsverfassungen. Register, die für sie als universal gelten.

    Wenn der verwestlichte Stadtmensch glaubt, dass Schwarz ein Synonym für Traurigkeit und Trauer ist, Rot das Symbol für Stärke, Energie und Aggressivität und die abgetönte Rotpalette für „fröhlich“, so haben die Weberinnen –niemals Weber– der ländlichen Regionen ganz andere Kriterien, Konzepte, die von einer anderen Mystik bestimmt sind und sich in der Nutzung mancher Farben wiederspiegeln, die einfach praktisch sind.

    Niemandsland.net.boLaut Jordán gibt es in der Andenwelt keine Männer- bzw. Frauenfarben wie in der westlichen Welt. Er gibt jedoch zu, dass die Definition der fröhlichen Farben mit der Zeit Einzug in die Welt der Andenvölker gefunden hat: „Aus der Sicht der Lebenserfahrung der originären Andenvölker haben wir die Farben nie als fröhlich definiert. Diese Definition ergibt sich entsprechend dem Lauf der Zeit und der kulturellen Elemente des Kontextes. Von hier –aus diesem Kontext– werden sie übernommen… bis sie Teil des Alltags und der Kosmovision der Völker werden. In diesem Sinne bietet jede Epoche die Möglichkeit, neue Elemente zu integrieren, dabei aber die alten bewahrend.“

    Zu Schwarz erklärt er, dass dessen Nutzung in der Andenwelt meistens eine reine Frage der Zweckdienlichkeit ist. „Schwarz wird aus Bequemlichkeit benutzt; es ist einfach zu färben oder es besteht gar nicht erst die Notwendigkeit, es zu färben, wenn die Naturtöne der Tierfasern genutzt werden“, klärt er auf. Eine der von den Weberinnen am meisten geschätzten Tugenden des Schwarzen ist dessen Eigenschaft des Farbenverstärkers: Schwarz lässt die begleitenden Farben besser zur Geltung kommen.

    Die Erklärungen des Anthropologen wären für die Straßenverkäufer von awayos auf der Sagárnaga sehr lehrreich. Laut der allgemeinen Version der Händler von einheimischen Textilien hat die Farbnutzung in der andinen Welt keine tiefere Bedeutung. Sie erklären lediglich, dass die hellen und starken Farben typisch für die in La Paz hergestellten Textilien sind, während die dunkelfarbigen Textilien aus Potosí und Sucre stammen. Jordán korrigiert: „In den Provinzen des Departamento La Paz ist Schwarz sehr präsent, während sich in der Region Norte Potosí nur Tarabuco durch dessen Nutzung abhebt, und nicht etwa, weil es eine Kultur in permanenter Trauer ist, sondern weil Schwarz einfach zu färben und außerdem billig ist. Weiterhin ermöglicht es, dass die anderen Farben besser zur Geltung kommen.“

    Mutierende andine Ikonographie

    In dem den Bauchbinden für Männer gewidmeten Raum – ein winzig kleiner Raum voller Farbe und gewebten Symbolen – finden sich gute Beispiele für die Evolution der andinen Ikonographie. Auf den Bauchbinden sind symbolische Tiere wie Pferde abgebildet –mit dem Pferd von Santiago, dem heiligen Beschützer vor Gewittern und Blitzen in Zusammenhang stehend–, Rinderköpfe, offene Rosen, die mit ihren Dornen böse Geister verscheuchen, fliegende Vögel bis hin zu … Bussen und  Flugzeugen?

    Laut der Erklärung von Jordán hat die andine Ikonographie nach und nach der „ursprünglichen“ Kultur fremde Elemente absorbiert bis hin zu den Hauptprodukten der westlichen Moderne. Die Abbildung von Pferden steht für die Ankunft der Spanier, während die Flugzeuge die psychologische Wirkung der Bombardierung von Milluni auf dem Land zeigen –1965 fand unter der Regierung von René Barrientos ein Luftangriff statt, um einen Aufstand der Gewerkschaft der Minenarbeiter zu kontrollieren–, und die Busse zeigen im Wesentlichen die Annäherung zwischen Land und Stadt unter der Modalität der Migration in die städtischen Zentren.

    Bei einem Vergleich der Textilien aus den bolivianischen Anden mit den peruanischen und ekuadorianischen erklärt Jordán, dass es keine Unterschiede im Hinblick auf Struktur und Zusammensetzung gibt, allerdings eine Variation hinsichtlich der Techniken. „Was am meisten variiert ist die Ikonographie und die Anordnung der Farben auf den Textilien und genau hierin liegt der Symbolcharakter der Textilien“, fügt er hinzu.

    Und wer bestimmt die Designs, Farben und Abbildungen in der andinen Welt? Der Anthropologe Jordán versichert, dass es die Männer sind, die die Themen oder darzustellenden Gegenstände vorschlagen, aber dass es die Frauen sind, die Weberinnen, die das endgültige Thema, die Designs und die Farben nach ihrem Geschmack und der Mode in der andinen Welt bestimmen. Vor dem Hintergrund dieser Realität hinsichtlich der Entscheidungen über Motive und Farben tun die Männer der Gemeinschaft der Layme im Norte de Potosí wahrschleinlich gut daran, zu ihrer Ehefrau die Trägerin der schönsten Textilien zu wählen: Ihr Talent steht in direktem Zusammenhang mit der Abbildung ihrer Welt, ein immer kleinerer Raum aufgrund der starken ländlichen Migration in die Städte, eine Vision, die in dem kleinen Textilmuseum zu bestaunen ist.

                                                                                                  Teresa Torres-Heuchel
    Übersetzung: Antje Linnenberg
                                                                                                  Teresa Torres-Heuchel
    Übersetzung: Antje Linnenberg

    2 Kommentare

    1. Susana Larrambebere's Gravatar Susana Larrambebere
      Mittwoch, 29UTCWed, 29 Jun 2016 18:23:56 +0000 29. Juni 2016    

      Muy interesante esta nota para los que apreciamos el uso del color en los textiles americanos. Gracias.

      • Teresa Torres-Heuchel's Gravatar Teresa Torres-Heuchel
        Donnerstag, 30UTCThu, 30 Jun 2016 07:55:36 +0000 30. Juni 2016    

        Hola, Susana:

        Muchas gracias por el comentario y por visitar nuestro sitio. Sin duda, el mundo de los textiles americanos es muy amplio y lleno de símbolos que se van transformando por ser parte de una cultura viva. Por otra parte, muchas ideas o conceptos (occidentales) respecto al uso de colores en el mundo andino son falsos o no del todo ciertos.

        ¡Nos alegra mucho saber que fue un artículo de su interés!

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